wandern und philosophieren

wandern und philosophieren - ein alternatives Freizeitangebot von Heinrich Maiworm. Im Weblog werden regelmäßig aktuelle Informationen und natürlich nach den Wanderungen Erinnerungen daran und Fotos zu finden sein.

6.10.08

Doping





Doping gehört zum Leistungssport

Die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln ist kein Spiegel einer lasterhaften, weil leider kommerziellen Gesellschaft. Vielmehr liegen im Sport selbst die Gründe.

Von Gert G. Wagner

Bei den Olympischen Spielen wird es ebenso Doping-Fälle geben wie bei der diesjährigen Tour de France. Die erste schon vor dem Beginn der Spiele im Olympischen Dorf positiv auf Epo getestete Radfahrerin ist schon wieder aus Peking abgereist. Immer wieder wird anlässlich solcher Nachrichten gefragt: Warum riskieren Sportler Gesundheit und Ehre? Viele werden es auf die Kommerzialisierung des Sports schieben, aber diese Erklärung geht weit an den tiefliegenden Ursachen des Dopens vorbei. Doping gehört nämlich zu den konstituierenden Prinzipien des Leistungssports. Und kein Argument ist falscher als jenes, das in der Frage steckt, warum der Sport besser als die stressgehetzte und tablettenverseuchte Gesellschaft sein soll.

Denn wenn man genauer hinschaut, sieht man: Nicht der Sport passt sich an die Unsitten der Gesellschaft an, sondern der vielgelobte Sport ist von seinen Grundsätzen her ein ausgesprochen schlechtes Vorbild für menschliches Verhalten. Im sportlichen Wettkampf wird exemplarisch vorgeführt, dass es sich lohnt, an die Grenzen des Erlaubten zu gehen - und, wenn man nicht erwischt wird, auch darüber hinaus. Leistungssport mag ein positives Beispiel für Selbstdisziplin sein, aber bezüglich der ebenso zentralen gesellschaftlichen Tugenden Vertrauen und Fairness ist er ein verheerendes Vorbild.

Warum ist Doping so schlimm? Jeder Sportfan - und erst recht Sport- und Gesellschaftskritiker - hält es für unsportlich, wenn das Ergebnis eines Sport-Wettkampfs durch Medikamente oder medizinische Methoden, die nicht zur Bekämpfung von Krankheiten, sondern nur der Leistungssteigerung dienen, "verfälscht" wird. Diese intuitive Doping-Definition entspricht auch dem abstrakten juristischen Verständnis dessen, was als Doping bezeichnet wird. Nur hilft die abstrakte Definition nicht weiter, denn jedweder Hochleistungssport ist ungesund, und alle Athleten befinden sich ständig in ärztlicher Behandlung. Was aber Arzt und Patient für richtig halten, um Krankheiten zu bekämpfen und ihnen vorzubeugen, ist deren Sache. Die abstrakte Doping-Definition, die versucht, Leistungssteigerungen und medizinische Körperpflege zu unterscheiden, hilft darum nicht weiter.

Deswegen wurde die "Doping-Liste" erfunden. Sie besagt schlicht und einfach: Gedopt hat, wer einnimmt oder bei wem gefunden werden kann, was auf der Liste steht. Das aber ist so als ob man Diebstahl nicht abstrakt definiert, sondern eine Liste von Werkzeugen und Methoden auflistet, die Diebstahl definieren. Wer sich etwas anderes einfallen lässt, dürfte dann ungestraft klauen. Und genau das geschieht im Wettkampfsport: Athleten und Trainer sind ständig auf der Suche nach Mitteln und Methoden, die nicht auf der Liste stehen oder die zumindest nicht nachgewiesen werden können.

Die zweifelhafte Ethik des Verbots

Das Entscheidende ist: Für Wettkampfsportler ist es ganz normal, dass sie an die Grenzen des Regelwerks gehen oder es sogar überschreiten. Deswegen wirkt die Doping-Liste so verheerend: Athleten haben gar kein Unrechtsbewusstsein, wenn sie grenzwertig agieren oder gar tricksen. Denn das gehört zum Wettkampfsport konstitutiv dazu. Es gibt ein Regelwerk, dessen Grenzen man systematisch austestet. In den Kampfsportarten wird ständig unfair gespielt, in der Hoffnung, dass der Schiedsrichter es nicht sieht oder als an der Grenze des Erlaubten durchgehen lässt. Und wenn man erwischt wird, wird man halt bestraft, ohne dass das normalerweise als unsportlich angesehen wird. So auch beim Doping. Viele Sportler empfinden es als eine Praxis, die der ähnelt, der sie sich als Sportler ohnehin ständig hingeben. Die Suche nach nicht gelisteten Medikamenten gilt als normal. Und bei den Medikamenten für Muskelschwäche, Kleinwuchs und Blutbildstörungen ist noch was zu holen. Neuerdings werden auch Knorpel und Sehnen als wichtige Parameter für sportliche Leistungen entdeckt, was ganz neue Arten von Doping möglich machen könnte.

Viele Athleten sagen ja auch nicht: "Ich habe niemals gedopt", sondern sie sagen lediglich: "Ich habe nie etwas genommen oder gemacht, was auf der Verbotsliste steht." Um in den Grenzen des Erlaubten zu bleiben, ist es zum Beispiel auch nützlich, wenn einem Athleten eine Asthma- Erkrankung attestiert wird. Denn dann kann er leistungssteigernde Medikamente nehmen, die bei einem gesunden Athleten verboten wären. Über Schmerzmittel, die man nicht verbieten kann, denkt man am besten gar nicht weiter nach. Und warum sind - um zwei extreme Beispiele zu nennen - "Nahrungsergänzungsmittel" generell und beim Bergsteigen künstliche Sauerstoffzufuhr erlaubt, nicht aber Wachstumshormone und künstliche "Sauerstoffanreicherung" durch Epo?

Hinzu kommt: Wenn Athleten Medikamente nehmen und Spritzen gesetzt bekommen, dann allerdings schauen sich Konkurrenten nicht gegenseitig zu. Sozialpsychologische Experimente zeigen, dass in Situationen, in denen man sich nicht gegenseitig ins Gesicht schaut, eher gelogen wird. Durch die schwierige Nachweisbarkeit von Doping sind permanente Grenzüberschreitungen programmiert, denn die Konkurrenten erkennen es nicht mit Sicherheit, und kein Schiedsrichter ahndet es stehenden Fußes.

Unfairer Startvorteil?

Das beliebte Argument von Sportpädagogen und sogenannten Sportethikern, dass bestimmte teure Medikamente und Therapien deswegen zu verurteilen seien, weil sie ungleiche Startvoraussetzungen schaffen, klingt für Athleten völlig absurd. Denn es gibt kaum etwas, was unfairer abläuft als sportliche Wettkämpfe. Das beginnt bereits damit, dass der sportliche Erfolg keineswegs nur vom individuellen Aufwand beim Training und in der sonstigen Wettkampfvorbereitung abhängt, sondern schlicht und einfach auch vom in die Wiege gelegten Talent. In nur wenigen Sportarten wird versucht, das durch Handicaps - wie beim Golf und Pferderennen - oder durch Gewichtsklassen auszugleichen. Wer zum Sprinter geboren wurde, dem werden keine Gewichte umgehängt, damit auch ein weniger begabter, aber fleißiger Athlet eine Chance hat zu gewinnen. Völlig klar ist: Wer in einem reichen Land lebt, der hat aufgrund seiner Ernährung und Trainigsbedingungen viel bessere Chancen als ein im Prinzip hochbegabter Athlet, der in einem Slum groß wird. Und dauerhaftes Training ist auf teuren Spezialböden besser zu verkraften als auf dünn beschichteten Betonpisten. Von Fairness keine Spur.

Auch ein weiteres beliebtes Argument der Doping-Gegner, dass Doping gesundheitsschädlich sei, ist der reine Hohn: denn, wie gesagt, Hochleistungssport ist per se ungesund. Die Athleten spüren das an jedem Trainings- und Wettkampftag. Und oft auch in der Freizeit und im Ruhestand. Zum Beispiel Heiner Brandt: Der langjährige Handballspieler und jetztige Erfolgstrainer der Auswahlmannschaft des DHB konnte beim Einmarsch der Teams in Peking kaum noch vernünftig geradeaus gehen.

Das Gesagte bedeutet mindestens zweierlei. Das Doping-Verbotssystem hat keine belastbaren ethischen Grundlagen., und es ist zudem noch in seiner praktischen Ausformung schlecht durchdacht. Die Verbotsliste wird immer einen Anreiz setzen, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Und da diese Definitionslücke den Athleten sonnenklar ist, nehmen sie das Doping-Verbot nicht ernst. Dopingfreier Sport ist faktisch keine Norm, die bei Leistungssportlern akzeptiert wäre. Das bestehende Doping-Verbotssystem untergräbt deswegen Vertrauenswürdigkeit im Sinne von Fairness. Kein Athlet kann sich darauf verlassen, dass der andere sich an die Regeln hält. Wer nicht klug dopt, verhält sich sportinadäquat und ist der Dumme, der durch Erfolglosigkeit bestraft wird. Bevor sich dies die Sportfunktionäre und Medien nicht eingestehen, wird es keine Wende zum Besseren geben. Aber ob angesichts der brüchigen ethischen Grundlagen jemals diese Norm hergestellt werden könnte, muss man - realistischerweise - bezweifeln, auch wenn einem dieses Ergebnis als Sportfan gefühlsmäßig gar nicht gefällt.

Ein nicht unwahrscheinliches Szenario besteht vielmehr darin, dass über kurz oder lang die Sportverbände erklären, dass nun alles, was man als Doping bezeichnen könnte, auf der Doping-Verbotsliste stehe und die Grenzwerte optimal gesetzt seien. Gelegentlich wird noch ein unwissender oder dummer Athlet überführt, um zu beweisen, dass die Kontrollen funktionieren und folglich die übergroße Mehrheit der Athleten sauber sei. Was darüber hinaus geschehe, wird es heißen, sei Sache des Vertrauensverhältnisses von Arzt und Patient. Alle Beteiligten, auch die Zuschauer, werden die Verlogenheit eines solchen Systems erkennen. Es wird aber allen Beteiligten auch gleichgültig sein, denn der Sport wird seine positive gesellschaftliche Vorbildwirkung schlicht und einfach verloren haben.

Gert G. Wagner lehrt Volkswirtschaft an der Technischen Universität Berlin und ist Direktor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Zurzeit forscht er als Fellow am Max Weber Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien in Erfurt.
Sein Artikel erschien am 12.08.2008 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Diese lehnte eine kostenlose Verlinkung in diesem weblog ab.


http://www.zeit.de/2008/28/Martenstein-28
http://www.sueddeutsche.de/leben/lebenshilfe-durch-desgignerpillen-schoene-neue-hirne-1.948041
http://www.tagesspiegel.de/sport/betrug-im-sport-der-kampf-gegen-doping-ist-tot/6068160.html

Auch wenn sportlicher Erfolg die Chancen auf einen attraktiven Partner deutlich erhöhen kann: Partnerwahl und Fortpflanzung sind kein Sport. Vertrauen und Fairness ständen in einer intuitiven Definition gelungener Partnerwahl gleichwohl ebenso an der Spitze der erforderlichen Tugenden wie im Sport. Und wie sieht die Wirklichkeit aus? Doping so weit das Auge reicht: Duftwässerchen, Schönheitsoperationen, Wonderbras ...